Ein Haufen Kindheitvon Bruna Karolyi
Unkrautfreier Rasen, weiße, steifhalsige Dornrosen, symmetrisch angereiht und die Eingangstür frisch lackiert in der Lieblingsfarbe meiner Mutter. Kühl grau zog sich durch das ganze Haus. Vom Wohnzimmer die Flurwand entlang in die Küche und über die Marmortreppen kroch es bis hinauf in mein Kinderzimmer. Sie führte mich ins Haus. Die silbergerahmten Kinderfotos, nach Alter gereiht und sorgfältig abgestaubt, schmückten den Flur. Ihre makellose, blondgefärbte Föhnfrisur wippte im Takt des Klackens ihrer Stöckelschuhe. Mit dem schwarzen Kleid sah sie fürchterlich edel aus. Die edelste Witwe, die ich je gesehen hatte. Bevor wir uns setzten, zupfte sie wortlos missbilligend an meiner Bluse herum. Sie fragte nicht, wie es mir ging. Dass sie den Verlust verkraften konnte, musste ich nicht erfragen. Das trauernde Gesicht hatte sie bei der Beerdigung gelassen, wenigstens ein bisschen Anstand hatte sie noch übriggehabt für meinen Vater oder zumindest für ihre Fassade der zurückgelassenen Ehefrau.
Das Haus hatte sich kein bisschen verändert. Den Tisch hatte sie schon eingedeckt mit dem guten Porzellanservice, das nur zu besonderen Anlässen aus der Glasvitrine geholt wurde.
Die einzige Wärme im Raum ging von der Tasse Tee aus. Geredet wurde nur wenig. Die Stille war mir so vertraut, dass es beinahe komisch war, wie sehr sie mich erdrückte. Nur die Uhr tickte. Immer lauter. Im gleichförmigen Tempo eines Metronoms, fast klang es vorwurfsvoll. Jetzt kommst du wieder an? Kein bisschen Dankbarkeit? Sie hatte recht, ich war vor ihren silbernen Zeigern geflohen und nun hatten sie mich wieder eingeholt. Wir sitzen wieder hier. Diesmal nur zu zweit. Der Tisch hatte einen Sessel zu viel oder wir einen zu wenig. Es herrschte erschöpfende Leere zwischen meiner Mutter und mir, die mich schon seit Jahren vom Betreten dieses Hauses ferngehalten hatte.
Schließlich tat ich das, was ich immer getan hatte, ich floh in mein Kinderzimmer. Wie erstarrt in der Zeit, so unberührt, dass es mir Angst machte. Mit einem seltsam fremden Gefühl ging ich im Raum auf und ab. Ich riss das Fenster auf, um den abgestandenen Geruch loszuwerden. Auf dem Bett unter der Dachschräge saß Rudi, mein Kuschelbär, mit dem von Oma bestickten Blümchenpullover. An den Wänden, glänzend poliert, hingen Medaillen, Pokale und Bilder von einem strahlenden Mädchen mit Dutt und Tutu neben einer noch strahlenderen Mutter. Die Spitzenschuhe, am Haken daneben, ließ ich unberührt in ihrem grazilen Stolz.
Dann begann ich nacheinander die Schubladen meines Schranks zu öffnen. Betrachtete alles mit Sorgfalt, als wäre es fremdes Eigentum. Vorsichtig strich ich über die aus Holz geschnitzten Tiere, mit denen ich mich stundenlang beschäftigt hatte. Die verblasste Spieldose, mit der sich drehenden Tänzerin, hielt ich besonders lange und summte die Melodie. Gemeinsam mit meiner Herzchen-Kette, die ich von meiner besten Freundin bekommen hatte, bildeten Rudi, die Holztiere und die Spieldose einen kleinen Haufen am Parkettboden vor mir. Die anderen Spielsachen schlichtete ich mit gründlicher Genauigkeit an ihren Platz zurück. In der untersten Lade meiner hellrosa Kommode fand ich meine alte Barbiepuppe Annelies. Ihre blonden Haare waren in einen großen Knoten zusammengefilzt, ihre Plastikhaut hatte längst den frischen Glanz verloren und ihr fehlte der rechte Stöckelschuh. Ich hielt sie und weinte. Endlich weinte ich. Die tiefgekühlten Gefühle schmolzen und tropften auf meine Hose. Ich weinte um das kleine Mädchen, ein Werkzeug der verpassten Träume ihrer Mutter und die Schuld, immer wieder daran zu scheitern, diese einzuholen. Annelies war ein Geschenk von meinem Vater gewesen. An einem gewöhnlichen Mittwochabend war er mit einem Lächeln nach Hause gekommen, Annelies hinter sich versteckt. Trotz Mutters Protests durfte ich sie behalten. So ein Kitsch kommt mir nicht ins Haus! Ich musste lächeln. Mein Vater konnte mich nicht immer beschützen. Aber in einem Haus, in dessen Spiegel ein kleines Mädchen allem, außer sich selbst gegenüberstand, sah er mich. Annelies setzte ich ganz oben auf den Haufen.
Ich konnte nicht schlafen. Allein mit der Dunkelheit, der Stille und dem beredten Echo der Wände. Im Morgengrauen packte ich meinen Haufen Kindheit in einen Pappkarton. Der dämmrige Anblick meines Kinderzimmers sah nun so lächerlich leer aus. Die Wände blieben stumm, der Stimme bestohlen, die ich ihnen früher geschenkt hatte. Den Pappkarton in der rechten Hand, kehrte ich ihnen den Rücken zu. Lebewohl flüsterte die Tür - und nichts hielt mich mehr fest.
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