Eine bittere Hoffnungvon Isabel Garcia
Wie jeden Morgen, wenn das Licht durch den Vorhang fällt, springe ich auf und stupse ihn mit meiner Nase an. Ich höre sein leises lachen und spüre, wie seine Hand meinen Rücken streichelt. Er murmelt Wörter, die ich nicht verstehe, die mir jedoch sehr vertraut vorkommen. Wenn er mich dann zärtlich in den Arm nimmt, bin ich voller Glückseligkeit. Er scheint müder zu sein als sonst, doch mindert das nicht meine Vorfreude, als er endlich zur Küche geht und mein Futter zubereitet. Im Hintergrund läuft Musik, zu der er normalerweise immer laut mitsingt, heute ist das nicht so. Blitzschnell leere ich meine Futterschüssel und gehe meinen täglichen Ritualen nach, in dem ich an die Türe kratze, um ihm zu signalisieren, dass es Zeit für unseren täglichen Spaziergang ist. Er schenkt mir ein trauriges Lächeln und holt sofort die Leine. Die Sonne erfüllt das Land und lässt die Morgenkälte mit ihren Strahlen vergehen. Ein Eichhörnchen erstarrt vor Angst, als es mich sieht, und Schmetterlinge kitzeln mich auf der Nase, während ich durch die Blumenwiese renne. Dieser Ausflug könnte ewig dauern, doch anders als an anderen Tagen, blieb er nur von kurzer Dauer. Danach verlässt er mich, wie fast an jedem Tag.
Jetzt bin ich allein. Sitzend vor der Eingangstür warte ich darauf, dass sie endlich wieder auf geht und er mich mit offenen Armen begrüßt. Nach Stunden höre ich es, das Klirren seiner Schlüssel, das Quietschen der Tür. Unfähig still zu sitzen und glücklich, gleich seine Nähe zu spüren, trifft mich statt seiner Wärme nur Leere. Rasch zieht er an mir vorbei, ohne mir in die Augen zu schauen, oder mich am Kopf zu streicheln und läuft in sein Zimmer. Hastig und mit gespitzten Ohren versuche ich ihm blitzschnell zu folgen, doch ich spüre nur noch den harten Knall der Tür auf meiner Nase und zucke unsicher mit gesenkten Ohren zurück. Habe ich etwas getan? Ist er böse auf mich? Nimmt er mich noch in den Arm? Ich versuche zu verstehen. Vielleicht öffnet er gleich wieder die Tür. Ich muss nur hier sitzen und ihm zeigen, dass ich brav bin, dann lässt er mich sicher in seine Nähe.
Es bleibt still. Ich starre auf die Tür, aber nichts verändert sich. Langsam stehe ich auf und schnuppere. Er ist noch da, sein vertrauter Geruch. Hoffnungsvoll setze ich mich und starre weiter.
Die Dunkelheit beginnt alles um mich herum zu umhüllen, doch ich bleibe weiterhin sitzen. Die Ohren gespitzt und mit höchster Aufmerksamkeit, bemühe ich mich, jedem möglichen Geräusch zu lauschen. Ich erinnere mich an seine Stimme, früher hätte er mich schon längst hochgehoben. „Komm her, du Kleiner“, hätte er gesagt und mich ins Bett gekuschelt. Er hätte mich gehalten, bis wir eingeschlafen wären und alles wäre gut. Nur seine Stimme wollte ich hören. Jeder kleine Laut lässt meine Ohren zucken, aber ich höre nur das leise Rieseln des immer stärker werdenden Regens.
Ich winsle leise, als der zweite Donner einschlägt. Er wird mich hören, ganz bestimmt. Wahrscheinlich weiß er nicht, dass ich hier bin. Vielleicht hat er es nur vergessen. Ich kratze an der Tür, stupse sie an. Keine Antwort. Ein dritter Knall bohrt sich in meine Ohren und lässt mich ängstlich aufheulen. Eng lege ich mich an den Spalt der Tür und versuche meine Augen zu schließen. Ich stelle mir vor, wie er mir sanft über den Kopf streichelt, während er versucht mich vor dem Gewitter zu trösten. So wie immer, so wie früher.
Der nächste Morgen bringt keine Sonnenstrahlen, keine Wärme, keine Lieder, kein Futter. Suchend nach Essen, wandere ich hilflos durch die Küche, kratze an der Tür, gehe wieder zur Küche, nur um diesen Vorgang mehrmals zu wiederholen. Nach dem sechsten Durchgang gebe ich auf und lege mich wieder vor die Tür. Sein vertrauter Geruch strömt durch den Spalt, aber etwas darin ist anders, als wäre er überschattet von einem grausamen und unerträglichem Gestank. Schnell versuche ich ihn zu ignorieren. Ich muss nur warten…nur warten.
Es scheint kein Licht mehr. Das Zimmer ist staubbedeckt Die Stille ist nun mein täglicher Begleiter und der Gestank mein einziger Hinweis darauf, dass er noch da ist – irgendwo hinter der Tür, unerreichbar, doch allgegenwärtig. Hungrig und erschöpft bleibe ich liegen. Was soll ich denn ohne ihn tun? Liebt er mich noch?
Ich hebe hoffnungsvoll meine Schnauze, im Glauben ein kleines Geräusch gehört zu haben, doch die Tür bleibt zu. Der Hunger wird schlimmer. Erschöpft lege ich meinen Kopf auf meine Pfoten und versuche mich an unsere gemeinsamen Augenblicke zu erinnern. Die Liebe und Wärme, die er mir jeden Tag schenkte. Versunken in Erinnerungen, fallen meine Augen langsam zu.
Plötzlich höre ich das vertraute Klirren eines Schlüssels an der Eingangstür. Mühsam hebe ich mich auf und wandere mit gesenkten Ohren und wedelnden Schwanz zur Tür. Ich kenne diese Frau. Glücklich will ich sie begrüßen, doch sie geht direkt an mir vorbei und ruft seinen Namen. Ich wandere zurück zu meinem Platz und schaue sie erwartungsvoll an. Bestimmt werde ich ihn gleich wieder sehen. Voller Vorfreude stehe ich aufgeregt vor der Tür, als sie sie langsam öffnet. Der Gestank wird unerträglich, als er durch die ganzen Räume strömt. Ich renne hinein und spüre fast schon seine Arme um mich, doch sie bleiben mir immer noch enthalten. Sie schreit laut auf, aber warum? Unsicher komme ich näher, um wenigstens sein Gesicht zu sehen, doch rutscht meine Pfote auf etwas Feuchtem ab. Ein klebriges Gefühl bleibt daran haften, als ich meine Schnauze senke und daran rieche. Verwirrt schaue ich auf und da liegt er, schlafend auf dem Bett. Mühsam springe ich hinauf und stupse ihn vorsichtig mit meiner Nase an, sowie jeden Morgen. Doch statt seiner sanften und warmen Haut, trifft mich nur Kälte. Er regt sich nicht, seine Augen bleiben geschlossen. Vielleicht ist er einfach zu müde. Mit gesenktem Blick schmiege ich mich langsam an ihn und schließe meine Augen.
Sanfte Arme führen mich fort. Ein letztes Mal blicke ich zur Tür und fühle einen Drang dort bleiben zu wollen, doch sie tragen mich weiter. Seine Wärme ist nun endgültig fort und ich beginne langsam zu verstehen, dass ich sie wohl nie wieder spüren werde. Zu müde bin ich, um wirklich mitzubekommen, wo und bei wem ich bin. Nur diese fremde Hand, die mir über den Kopf streichelt, schenkt mir etwas Zärtlichkeit. Vielleicht mag diese Person ebenfalls Umarmungen, vielleicht liebt sie es auch die Lieder im Radio mitzusingen und vielleicht kann ich mit ihr auch so viele Ausflüge erleben, wie mit ihm. Geborgen kuschele ich mich tiefer in die Arme des Fremden und fühle eine bittere Hoffnung.
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