Eine Geschichte über cognacfarbene Augen, Lieblingsspielzeuge und die Konsumgesellschaft. von Laura Diego Álvarez
Einst farbenfrohe Blätter liegen nun als braune, nur schwer identifizierbare Masse am Boden. Aus dem Supermarkt um die Ecke dröhnt schon Weihnachtsmusik und aus einem Fenster in der Wohnung darüber höre ich jemanden auf einem Streichinstrument“Stille Nacht, Heilige Nacht” üben. Wahrscheinlich für das Weihnachtskonzert, welches, halb verdeckt, auf einem kleinen Plakat angekündigt wird. Inmitten anderer, größerer Plakate, die oh- unter anderem -25 % auf Weihnachtsgebäck anbieten! Dabei war es doch gerade eben erst Halloween und ohne jeglichen Übergang scheint sich die ganze Welt still darauf geeinigt zu haben, dass mit dem 1. November Weihnachtskrempel nicht mehr verpönt, sondern sogar willkommen ist…
In diesem Moment beugt sich wie aus dem nichts ein überdimensional großer Kinderkopf über mich und ich spüre wie eine enorme und dennoch weiche Hand mich umfasst und mich so vorsichtig aufhebt, als wäre ich zerbrechlich. He! Ich hab Höhenangst! Das Kind begutachtet meine glatte, braune Oberfläche aus großen cognacfarbenen Augen. Es dreht und wendet mich in seinen Händen. Mir ist schlecht. Das ist ja schlimmer als das Kinderspielplatzkarussel, wo mich vor ein paar Tagen jemand unabsichtlich liegen gelassen hatte. Ohne Vorwarnung öffnet das Kind plötzlich seinen Mund und bewegt seine Hand langsam in dessen Richtung. Da ruft eine laute Stimme aus dem Off etwas in einer Sprache, die ich nicht verstehe und ein zweiter noch größerer Kopf beugt sich über das Kind und über mich. Dann wird es dunkel.
Ich bin in einem weichen Raum mit Wänden aus Stoff gelandet. Auf einmal setzt sich der Raum in Bewegung und durch eine schmale Öffnung lugt bei jedem zweiten Schritt das spätherbstliche Sonnenlicht hinein. Hell. Dunkel. Hell. Dunkel. So geht es eine Weile weiter, bis mich diese regelmäßige Abwechslung in einen ruhigen Schlaf wiegt.
Als ich aufwache, stehe ich auf einer weißen Oberfläche. Ich schaue mich um und erkenne neben mir- OH NEIN. Einige aufgespießte, durch dünne Stäbchen verbundene Figuren aus meinesgleichen. Erwartet mich dasselbe Schicksal? Als ich gerade abwäge, ob ich es schaffen könnte mich runterkullern zu lassen, um meiner erschreckenden Zukunft zu entgehen, werde ich von einer vertrauten, warmen Hand aufgehoben und wieder starren mich dieselben cognacfarbenen Augen an.
Ich genoss die Aufmerksamkeit in vollsten Zügen. Ich war dein Lieblingsspielzeug, dein Talisman, dein kleiner, runder Glücksbringer. Bis eines Tages ES kam.
ES bestand aus einem Stoff wie auch die Innenseite deiner Jackentasche, in der ich noch vor ein paar Wochen gelegen und selig geschlafen hatte. ES blickte mich aus kalten, leeren Knopfaugen an und hatte eine rote Nase, die auf Knopfdruck leuchtete. ES war genauso braun wie ich, doch war ES kuschelig und ich war glatt. ES war weich und ich, ich war hart wie ein Stein. Geh bitte! du sagst mir nicht einmal „Geh, bitte.“, blickst mich bloß aus deinen großen Augen ein letztes Mal an. Dann lässt du mich fallen.
Ich falle… und falle… immer tiefer… bis ich ankomme.
An dem Ort, an dem es anfing und an dem es nun auch zu enden vermag. Und ich, ich bin froh, denn nach einiger Zeit, wenn dein damals neues Spielzeug Tag ein und Tag aus auf deinem Bett sitzt und ins Leere starrt, entfalte ich nach und nach meine Äste, meine Blätter, meine Blüten und zum Schluss meine braunen Früchte mit der grün-stacheligen Schale, die auch mich einst umgab.
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