Eintagsfliegenvon Gerhard Freisinger
Wenn die sanften, mit Strahlen bewehrten Fäuste der Sonne am Horizont klopfen und einen blassen Vorgeschmack der Wärme in Hülle und Fülle, die sie am Ende des Tages gespendet haben werden, schicken, ist es auch Zeit für Janus, den Gott der Entscheidungen, der Türen und der Masken, vor den weit ausgestreckten, sich in Falten und Hügeln meiner Decken ergebenden Ländereien meines Bettes zu erscheinen. Erstes Licht dringt schwach an meine Augen, letzte Eindrücke eines Traums verblassen in den hinteren Ecken meines Kopfes und behagliche Wärme verbreitet sich in meinen Gliedern. Geängstigt ob des Bewusstseins einer Wahrheit, die unweigerlich vor meinem Bette steht, geängstigt von einer Entscheidung, die ich jeden Morgen treffen muss, schlagen meine Augen auf.
„Steh auf! Verrichte deinen Teil am Kreisel des Erschaffens und Zerstörens, zolle den Tribut an Lehnsherrn Zeit, trage bei am Werke eures Menschenvolks!“
„Bleib liegen!“
Zuckersüß, zwei Worte, einfach und kompakt. Und wie ein Chor von Angetrunkenen ein Sturm an Pech und Schwefel stinkendem Getöse, das mir ganz und gar sehr unbehaglich scheint! Liegen bleiben ! Seit dem Tag, dass ich die Sonne erstmals durch mein Lid einbrechen sah, will ich nur das und nichts davor.
Was ist da? Im tiefen Unterholz verbogen höre ich Stimmen, seh‘ ich Augen! Sind es Feinde? Sind es Fremde? Ist es vielleicht der Traum, den ich hielt für abgestürzt vom Rande steiler Klippen meines Hirns? Hört doch, was sie flüstern, welch frohe Botschaft sie zu künden kommen!
Freunde treff ich heute! Oh Glück, oh Segen jauchzt mein Herz, pumpt Blut in einem Schwall der eine Explosion meiner Arterien nicht auszuschließen lässt, bringt diese Kunde weltverändernden Aspekts in den letzten Winkel meines Zehs. Achilles, Herakles; die ganze Schar hätt‘ wohl vor Neid geschielt, wären sie dabei gewesen wie ich nun aus meinem Bett sprang und eilends mich in Schale warf. Helena hätt‘ man gar für Schnee zu halten möglich es gehabt, so blass, zu krank wär‘ sie geworden, wenn sie nur auf meine roten Backen ihren Blick gelegt. Ich will nicht prahlen, meine Damen und auch Herren, doch der Spiegel ist errötet, als ich meine Worte an ihn richt‘, begierig zu erfahren, wer denn am schönsten sein!
Oh Jugend ! Bist du nicht die beste Zeit des Lebens? Alles scheint so nebensächlich, als wär es gar nicht von Belang, so wie es alle Alten und Vernünft’gen sagen dass es wäre, alles ist so bunt, so süß, so himmelhochgejauchzt spontan. Wir sind Kinder! Wir sind frei! Legen Harnisch, Schild und Lanze an, schwingen uns am Pferd hinauf und prallen aufeinander, dass Gott im Himmel lachen muss! Wir wandeln abseits der Wege, unter Bäumen aus Glas, mit Äpfeln aus Holz und Vögeln von Zucker, frönen ihren Liedern im delirischen Rausch fantasievollen Traums. In unseren Herzen liegt ein Schatz, den viele vermissen, ein Schatz der Schlüssel zum Frieden auf Erden ist, ein Schatz der uns schützt vor dem kalten Kalkül der grausamen Welt. Wir sind so frei, so jung, so mächtig!
Lachen bricht banales Ruhig- Sein, ein Handschlag halt durch Raum und Zeit. Einsteins Worte werden wahr: , , ein Freund ist ein Mensch, der die Melodie deines Herzens kennt und sie dir vorspielt, wenn du sie vergessen hast“Wir pfeifen, fideln, trommeln, klimpern, jeder diese Melodie, die nicht so wirkt, doch eine ist. Das Lied ertönt, das Lied verhallt, ertönt erneut, es bleibt im Ohr. Es treibt den Stress, die Sorgen und den Frust geradewegs zur Tür heraus und in den Tag. Nur noch wir, eine Familie; eine Freundschaft, die ein Leben hält.
Langer Weg. Lachend taumeln. Taumelnd lachen. Witze reißen. Traurig werden. Kreuzung queren. Wieder lachen. Steine schmeißen. Wellen schlagen. Fische haschen. Vögel jagen. Blumen pflücken. Mädchen suchen. Süße Blicke. Nichts geworden. Nordwärts weiter. Straß‘ hinab. Schöne Häuser. Kleine Hütten. Braune Pferde. Nerv’ge Mücken. Gott verraten. Kreuz verbrannt. Sonne scheinend. Hoch erhoben. Beten gehen. Gott gehuldigt. Flaggen reißen. Wand beschmieren. Fenster splittern. Start verflucht. Alt ergraut. Lahmen Schrittes. Zu Hilfe! Schnell gelaufen. Brav gestützt. sichere Straße. Braune Blätter. Autos brausen. Winde wehen. Böser Mut. Am Horizont. Wild gewaltig. Kommt gezogen. Donner grollen. Götter kreischen. Blitze zucken. Furien lachen. Regen fällt. Sanften Mutes. Nasses Haar. Nass’re Kleidung. Wirtshaus lacht. Beisammen stehen. Trockne Räume. Endlich da.
Hannibals Trompetentiere, Göttervaters Donnerkeil und ragnaröksche Feuersbrünste schlagen wild mit Hämmern auf mein Trommelfell hernein, das warme Licht des Ofens hebt mein Stimmungsbild, das Essen riecht nach vollen Bäuchen und nach langen Nächten. Ein Schankraum, wie er so im Buche steht, ein Abend, wie in jeder manchmal sich erträumt.
Ich taumle freudentrunken an den Armen meiner Freunde, lache schallend, trinke, rede, schweige still. Sinkend ein im Strudel der Gemeinschaft verblassen draußen Welt und Krieg, vergessen sind die Gesterns, vergessen sind Morgens und auch hier ist nicht mehr hier und auch nicht jetzt.
Amors Pfeil schlug hart und federnd ein, ob er im Ernst oder im Jux geschossen ward, dass ist mir rätselhaft, doch schoß das Gift voll heißer Wut in meine Adern. Muskeln, Nerven, alles was zu lähmen ist, hat es durchdrungen und erstarrt. Und als ich glaubt‘ ich müsste sterben, so gelähmt, da hast du mich nur angelächelt.
Verliebt!
Mir schien, als stürzt‘ ich ab aus allen sieben Himmeln, als hätten Engeln mich gepackt und höben mich hinan an Gottes Pforten. Ich sah in deine Augen und ich sah in deine Augen und ich sah nichts mehr außer dir, was hätte da noch besser sein gekonnt, hab ich mich wohl gefragt, bis du mir diesen Kuss gabst.
Verliebt!
Die Blätter rauschen ungezähmt, die letzten Regentropfen fallen, die Welt ist frisch und klar und neu und nass. Sie ist der einzige Kumpan der mir im Schmerz beiseite steht, der meine Trauer anerkennt. Der Wind fegt über Land und Mensch und trocknet meine Tränen, er flüstert mir von Trost und Neubeginn; Denk nicht mehr drüber nach!
Doch was soll ich sonst noch denken, wenn sie das einzige Wahre war, wofür mein Leben sich gelohnt hat? Wohin soll denn mein Blick jetzt wandern, wenn alles hässlich, alles aufgebraucht und im Schatten ihrer Schönheit ist? Kann mich irgendetwas überhaupt noch freuen? Kann irgendetwas noch erquicklich sein?
Die Tür geht auf, das Bett, das ruft und mit der Sonne sinkt mein Unmut, die Trauer um ihr Mit-mir-sein verblasst im Abendrot. Die Gicht fährt in die Glieder, die Konsequenz des vielen Spaßes, gebeugt und müde ist mein Anblick. Ich seufze; wozu soll man denn noch weinen, wenn der Schlaf nach einem langt und mit seinen weichen Fingern an den Augenlidern zupft? Lass sein, was ist und war und wird und leg dich nieder, es hat ja doch gar keinen Zweck. Morgen kommt ein neuer Tag, so ist zu hoffen, morgen wachst du wieder auf. Der Mond thront jetzt am Firmament, die Sternlein scharen sich an seinem Hofe; Sie singen dir ein Lied vom Leben oben dort am Himmel. Sieh noch einmal auf den Strom des Lebens das du führtest, sieh noch einmal was für Wundertaten deiner Hand und deinem Geist entsprangen, ob es nun sinnvoll war oder Klabauk, es ist getan.
Die Wände rücken näher, die Decke kommt herab, die Dunkelheit erfüllt den Raum und draußen heult der Wolf. Hier drinnen ist es schweigsam, ist es stumm.
Stille. Ich liebe dieses Wort. Tod
Das war ein Leben, viel zu kurz und viel zu schnell.
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