Elfzwanzigvon Philip Pecoraro
Er war eine Bimgeburt. Im 62er, Ecke Dörfelstraße, Meidling. Die Jungen hat’s gefreut, weil Kinder doch so lieb sind, und die Alten gestört, weil allweil so ein Lärm is‘. Nur der Fahrer hat wieder nur ans Dienstrecht gedacht und ob er an allem schuld ist oder nicht. Dabei war Er nur eine Störung im Betriebsablauf.
Eingeschult, ausgeschult, früh angestellt, schnell entlassen worden. Lang studiert – also die Speisekarte beim Wirten. Gegen Akademiker keine Abneigung, aber auch keine Sympathie. Die haben immerhin noch nie richtig gearbeitet. Eh, Er auch nicht, ja klar, sowieso. Aber bei Ihm ist das doch was anderes.
Und so steigt Er montags in seinen Toyota Corolla und fährt Richtung Niederhofstraße. Da ist in der Ruckergasse – etwa da, wo die Ratschkygasse kreuzt – ein Riesen-Bahö. Er fährt langsam, das will Er sich anschauen. Wann ist in Elfzwanzig immerhin sonst was los? Die ultrarechten Linksliberalen werfen den linksextremen Rechtsradikalen Hühnereier ans Parteilokal. Die Linken hassen nämlich die Rechten und die Rechten hassen die Linken, nur den Hausbesorger Rypacek interessiert das alles nicht. Der will nur wissen, welche Güteklasse die Eier haben, weil Güteklasse A sich so schwer wieder entfernen lässt.
Er hält sich da aber raus aus dem Bahö, immerhin ist es nicht seines, und mit Politik hat Er nichts am Hut. Entscheiden, das tun sowieso die da oben – das denkt nicht nur Er, das denken viele, betont Er gern. Deshalb gibt man in Österreich vermutlich alle 30 Jahren dem Extremen eine Chance. Aber damit kann man Ihm gestohlen bleiben.
Nein, Er muss weiter. Gang rein, auf’s Gas, Ruckergasse runter. Nicht geschaut, nicht gebremst. Mit 50 Sachen in einen Mistkübler rein. Von hinten. Toyota hin. Er auch.
Am Folgetag erwacht Er müde, in kater-ähnlichem Zustand in einer Einliegerwohnung am Schöpfwerk, Meidling. Eine Wiedergeburt ist anstrengend. Am Tisch zwei leere Bier und ein Bescheid des Himmlischen Comebackfragenzentrums. HiCofraZ. Hunger hat Er, und keine passende Hose. Dafür in der Garage einen Tiguan.
Er fährt einkaufen und trifft am Eingang, da wo die Hunde draußen bleiben müssen, die Grüß-Gotts mit ihren Zeitungskalendern und die Zum-Wohls mit ihrem Großgebinde Rotwein. Er hat keine Angst. Nur der hat Angst, dass die Zum-Wohls einem was tun, dem sie noch nie was getan haben, sagt Er. Ihn hat am Bahnhof mal einer beleidigt, in einer Fremdsprache. Doch sowas kann Er verkraften.
Nur an der Kassa hört der Spaß auf. Riesenschlange – eine alte Dame hat’s genau. Zweite Kassa! Er ruft sowas nicht, das schickt sich nicht, findet Er. Die neue Hose gleich einem Schal lässig umgeschwungen, weil Er keine Hand frei hat, geht Er in die Tiefgarage. Da fällt der Alten von der Kassa das 6er-Tragerl Bier hinunter und drei Flaschen gehen zu Bruch.
Er hilft und bückt sich. Kniebeuge, Armstrecken, Bierheben. Wird dabei völlig übersehen. Im Rückwärtsgang, beim Ausparken. Kastenwagen. Installateur Atesli, bei Rohrgebrechen aller Art. Firmenauto ein Totalschaden. Er auch.
Am Folgetag liegt Er benebelt auf einem Kuhfellteppich in der Zöppelgasse, Meidling. Ein Hund zerreißt seinen Bescheid des HiCofraZ. Guten Morgen! Eine alte Dame gießt Hortensien. Sie hat einen Hund namens Katze, eine Katze namens Erwin und einen Erwin namens Holecek. Der liegt bei ihr am Sofa.
Er verlässt die Wohnung und belädt seinen Twingo. Da blickt Er in die Ferne und sieht schwarze Punkte. Die Zugvögel, seufzt Er, aber in Wahrheit sind es nur Mistelbacher im Stau gen Italien. Er träumt, träumt vom Meer, von Amore, von Espresso und von Jesolo. Dabei sind eigentlich nur Mistelbacher dort. Wenn Er unten ist, trinkt Er immer Birra Moretti und Montepulciano und benimmt sich auch sonst wie zuhause, nur dass man da ins Meer schiffen kann. Nicht wie daheim ins Bankett.
Die alte Holecek ruft Ihn, Erwin ist gestürzt. Er denkt zunächst an die Katze, sieht aber bald ihren Alten im Stiegenhaus liegen. Schnell hilft Er, bei Stürzen zählt jede Sekunde, das weiß Er. Da geht die 3er-Tür auf und die Czapka ruft, was allweil so ein Radau ist, man könne sich nicht aufs Fernsehen konzentrieren. Als sie den Holecek sieht, eilt sie zur Hilfe und verwendet zwei Freiminuten für einen gebührenfreien Notruf.
Zwei Zivildiener verladen den Holecek. Bahre, festzurren, Abfahrt. Sie sind in Eile. Da beißt Ihn Katze. Er stolpert, vor die Rettung. Die Zivis erschrecken. Ihre Nerven hinüber. Er auch.
Am Folgetag sitzt Er zugedröhnt an einem Esstisch in Hetzendorf, Meidling. Er weiß schon, was Sache ist, und zündet sich mit dem Wisch vom HiCofraZ eine Zigarette an. Er will unter die Leute kommen und fährt mit seinem Fiat Punto zum Wirten.
Drinnen wird geschimpft, über Preise, echte Wiener, solche die es werden wollen und über solche, die es nicht sind, obwohl sie so tun. Wer Wien hasst, der kann sich schleichen gehen! , ruft einer. No na, denkt Er, was sonst. Wer Wien hasst, liebt es in Wahrheit, das sagt Er immer. Und wer Ihn nicht liebt, ist sowieso selbst schuld. Da fängt einer, der Vucevic heißt, mit den Ausländern an. Daraufhin meint ein anderer, der Novak heißt, dass der Vucevic ja selber einer ist.
Das will der Vucevic nicht auf sich sitzen lassen und nennt den Novak einen Tschechen, was der Novak bestreitet, immerhin wären seine Ahnen schon in der Kaiserzeit gekommen. Da hat er Recht, denkt Er, das kann der Vucevic nicht von sich behaupten. Aber der winkt nur ab und beschwichtigt in ein Krügerl hinein. Er steht auf der Gasse, da fällt Ihm noch was ein. Am Ende sind wir alle Elfzwanziger! , ruft Er hinein und erntet Zustimmung. Klar, sowieso, no na.
Dem 8A versagen da die Bremsen. Rutscht, rollt, schlittert. Direkt auf den Wirten zu. Er weicht nicht aus. Er weiß, was jetzt kommt. Eilmeldung. Kronen Zeitung. Bus rast in Wirtshaus. Eingangstür zerstört, Mann überfahren. Das war Er.
Schon ein Scheißpech, denkt man im HiCofraZ. Arme Sau. Aber Er, Er sieht die Sache gelassen. Den Kater morgen wird Er verkraften. Solange Er nur wieder in Elfzwanzig landet.
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