Geige und Stimmevon Amelie Wagner
Der Rauch seiner Zigarette verblaste. Er drückte sie auf dem alten Holz aus, und zündete sich gleich noch eine an. Lange stand er so da, blickte aus dem offenen Fenster seines Erkers und atmete die kühle Nachtluft ein. So stand er jeden Abend da. Genau um 22. 31 Uhr. Bis die letzte geraucht war. Dann geht er.
Er stieg über Haufen von beschriebenen Noten-Blättern und alten Zigarrenstummeln, die überall in seinem Zimmer verteilt lagen, weiter zu seiner Kommode. Sein Blick streifte über die Bilder. Da war er. Sieben Jahre alt. Mit seiner ersten Geige in der Hand. Inklusive Zahnlücke. Und daneben? Er schluckte. Minutenlang stand er da und schaute es an.
Seine Hand schoss vor, haute das Bild in die nächstbeste Schublade, schloss sie abrupt und lief in die andere Ecke seines Zimmers. Was wollte er überhaupt bei dieser dämlichen Kommode? Wütend schloss er seinen Geigenkoffer auf. Wo ist denn nur dieser verdammte Bogen? Im Koffer jedenfalls nicht. Er schnaubte, hockte sich hin, und warf einen Blick unter sein verstaubtes Ledersofa. Das Einzige, was er sah, waren alte Zigarettenschachteln, eine kaputte Lampe und sein alter Bogen, den er vor ein paar Wochen aus Jähzorn zerbrochen hatte. Der Mann stand auf, ging zur Kommode zurück und schob die Schublade, die er vorhin zugeknallt hatte, wieder auf. Neben dem Bild lag der Bogen. Er schnaubte und schnappte sich den Bogen, jedoch wanderte sein Blick wieder zu dem Bild. Wie klein er doch auf dem Bild doch war… Er erschauderte, und machte die Kommode wieder zu, dieses Mal jedoch sanfter, und nahm seine Geige in die Hand. Mit geschlossenen Armen setzte er den Bogen an, und fing an zu spielen. Leise, langsam, sanft. Doch dann veränderte sich die Atmosphäre. "Maxime"! Diese Stimme kannte er nur zu gut. Sie kam immer, wenn er Geige spielte. Maxime schüttelte den Kopf und spielte schneller. "Maxime!“ Die Stimmer donnerte. Er verengte seine Augen. Nein! Dieses mal wirst du mir keinen Strich durch die Rechnung machen Vater! Seine Finger flogen gerade zu über die Seiten. Immer schneller. Immer weiter. Immer stärker. "Maxime"! Die Stimme seines Vaters dröhnte durch den ganzen Raum. "NEIN", schrie Maxime, und spielte noch schneller. Seine Finger verkrampften sich. Doch er hörte nicht auf. Er durfte nicht aufhören. Niemals. Ein Schrei löste sich aus seiner Kehle, der Bogen flog durch die Wohnung. Mit zerzausten Haaren stand er in der Mitte des Raums. In der rechten Hand seine Geige. Er atmete. Dann umfasste er seine Geige mit beiden Händen und schmetterte sie auf den Boden. Einmal. Zweimal. Dreimal. Bis sie Kleinholz war. Doch währenddessen war er ganz still. Die Stimme war fort. Tränen flossen aus seinen Augen. Es war vorbei. Der Kampf. Um die Perfektion. Um die Schnelligkeit. Und wer war daran schuld? Vater. Dem er nie genug war. Immer schneller. Nie schnell genug hat er gespielt!
Maxime legte sich neben seine kaputte Geige. Und blieb dort liegen. Bis genau 22. 31 Uhr am nächsten Tage. Aber er ging nicht wie sonst um 22. 31 sein Päckchen rauchen, nein! Er verlies seine Wohnung und betrat das Instrumentengeschäft nebenan. Er schaute sich um, und sein Blick blieb hängen an einem Flügel. Wunderschön schwarz. Glänzend. So wie seine Seele. Die nun befreit war.
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