Himmelspfortenvon Barbara Aichinger
Das Leben in den Alpen erwacht in aller Frühe
Pfeifend melken die Bauern ihre mürrischen Kühe
Laut vernimmt man das Glucksen des Bächleins
Bunte Blumen blühen am Rande des Feldrains
Schüchterne Hummeln brummen im Morgenröckchen
Verlassen schläfrig die zarten, purpurnen Glöckchen
Der Wind umspielt die Locken der seidenen Wiesen
Dahinter ragen die majestätischen, blassroten Riesen
Nur der Adler über ihnen schwebt
Und sich weiter in die Höhe erhebt
Nach der Baumgrenze sind die Gipfel kahl
Hoch oben ist die Landschaft felsig und fahl
Man möchte die schneidende Luft einsaugen
Murmeltiere verfolgen einen mit misstrauischen Augen
Golden hängt der Tau an den Halmen
Die ersten Wanderer betreten die hochgelegenen Almen
Der Großvater und seine Enkelin besteigen den Gipfel
Sie hüpft im Reigen
Er versinkt im Schweigen
Da zieht sie an seinem grünen Mantelzipfel
Sieh, Opa, die schwarzen Schäfchen dort
Wie friedlich ziehen sie doch in das Tal fort
Der Alte blickt und er sieht mit Schauern
Stahlblaue Wolken am Bergrücken lauern
Mein Kind, sie ziehen nicht von dannen
Böen entwurzeln alsbald die Tannen
Lass uns nicht allzu lange verweilen
Sondern unverzüglich zur Hütte eilen
Er spricht sicher, er spricht mit Bedacht
Sogleich er sich auf den Weg macht
Denn er weiß, der Moment ist nicht zu verpassen
So mancher hat aus Übermut sein Leben gelassen
Während sie vor der Bedrohung fliehen
Beginnen die Murmeltiere sich zurückzuziehen
Sammeln die jungen Hirten mit Mühe
Ihre scheuen, trotzigen Kühe
Das rege Leben auf der Alm erlischt
Jählings poltert es und dröhnt
Das himmlische Ungeheuer stöhnt
Und es grollt
Als wenn es sich entlasten wollt
Das Mädchen verharrt verzagt
Und ängstlich ihren Großvater fragt
Was bedeutet dieses Gebrause?
Ich möchte in mein behagliches Zuhause!
Der Alte wirkt behemmt
Und sich auf seinen Stock stemmt
Das erste Donnern ist erklungen
Nun sind wir zur Hast gezwungen
Fern ist der erste Blitz nicht
Bald auch er die Wolken durchbricht
In einer warmen Stube wäre ich denn gern
Doch bis zur Schutzhütte ist es nicht fern
Also lass uns nicht in der Kälte säumen
Und von trockenen Zimmern träumen
Wie sie stieben auf steinigen Pfaden
Einen sich die düsteren Schwaden
Die durchtränkten Wolken sich biegen
Als wollten sie sich an den Berg schmiegen
Und das Gipfelkreuz berühren
Siehe, es bricht das Himmelszelt
Ein Wasserwall auf die Wanderer fällt
Das Ungetüm nach Entlastung lechzt
Der Herr lässt keine Gnade walten
Indessen das Gebirge seufzt und ächzt
Als wolle es sich entzwei spalten
Es wettert und gießt und platscht
Als wenn es sich selbst Beifall klatscht
Da öffnet die Bestie ihren pechschwarzen Schlund
Spuckt gläserne Scherben in den Abgrund
Das Mädchen vor Frost erbleicht
Läuft vor, hat beinahe den Verschlag erreicht
Den Großvater zwingen die vielen Jahre zum Hinken
Vergebens möchte er die Enkelin zurückwinken
Heute erbarmen die Götter sich nicht
Erbost greifen die Gebieter das Licht
Und mit voller Wucht
Schleudern sie Pfeile in die Schlucht
Ein Gertenhieb schnellt auf die zwei
In den Bergen gellt der Entladung Schrei
Langsam erstirbt die Flut
Es bleibt die knisternde Glut
…
Die Sonne steigt hinter den Gipfeln auf
Von Neuem frohlockt der Wasserlauf
Die Wanderer kommen und gehen wieder
Nur eine legt Blumen auf das Gedenkkreuz nieder
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