ICH BIN ICHvon Lisa Hartweger
Ich bin 14 Jahre alt.
Ich bin 14, groß, braunhaarig, grünäugig.
Ich bin 14, ehrgeizig, empathisch, zielstrebig.
Ich bin 14, Schülerin, Sportlerin, Bekannte, Verwandte, Tochter, Schwester, Freundin, beste Freundin.
Ich bin ich und für jeden woanders, was anderes, wer anderer.
Ich bin ich und zu schnell. Zu schnell beim Gehen, zu schnell in Gedanken, zu schnell beim Arbeiten, zu schnell beim Aufgeben.
Ich bin ich und zu langsam. Zu langsam im emotionalen Verstand, zu langsam beim Sprinten, zu langsam im Erwachsenwerden.
Ich bin ich und zu viel. Zu viel bei Gefühlen, zu viel auf Dauer, zu viel, wenn ich weine, zu viel am Überreagieren.
Ich bin ich und zu wenig. Zu wenig als Freundin, zu wenig am Spielfeld, zu wenig für alle da.
Ich bin ich und hübsch. Hübsch, wenn ich mich schminke, hübsch, wenn wir befreundet sind, hübsch, wenn man sich meine Augen anschaut.
Ich bin ich und nicht hübsch. Nicht hübsch, wenn ich ungewaschene Haare habe, nicht hübsch, wenn ich dir auf die Nerven gehe, nicht hübsch, wenn der Winkel am Foto nicht perfekt passt.
Ich bin ich und ich renne. Ich renne durch Gedanken, Gefühle, Momente, Erinnerungen.
Ich renne, weil ich nicht stehen bleiben will.
Ich bin ich und bleibe trotzdem stehen. Ich bleibe stehen, wenn ich stolpere, wenn alles zu viel wird, wenn die Zeit weit genug weg ist.
Ich bin ich und zähle Sekunden, obwohl Tage reichen würden. Ich bin ich und verliere Tage, weil doch die Sekunden zählen.
Ich bin ich zwischen Stehenbleiben und Rennen. Zwischen Atemnot und Atemholen. Zwischen Vollgas und Ausruhen. Zwischen „Los!“ und „Stopp!“.
Ich bin ich und laufe nicht mehr davon. Ich laufe in meinem Tempo.
Ich bin ich und vielleicht war das Tempo nie das Problem, sondern nur, dass ich vergessen habe, dass ich atmen darf.
Ich bin ich, und ich bestimme das Tempo.
Ich bestimme MEIN Tempo.
Mein Tempo ist mein
Und nicht mehr dein
Du hast mich eingenommen
Und ich konnte nicht entkommen
Du hast mich aus dem Takt gebracht
Aus mir eine kaputte Maschine gemacht
Trotzdem mit mir gelacht
Aber nie daran gedacht
Nie daran gedacht, dass es mein Leben ist
Und mich auffrisst
Wenn du mein Tempo auseinanderbringst
Und mir jede Sekunde in meinem Ohr klingts
Ich bin ich und bestimme endlich mein Tempo.
Ich bin ich und trotzdem reden sie:
Ich bin 14 und weiß noch nichts vom „echten Leben“.
Ich bin 14 und kann noch nicht „wahr lieben“.
Ich bin 14 und hab „ja noch so viel Zeit“.
Ich bin 14 und „werde das später schon verstehen“.
Ich bin 14 und „nehme alles zu ernst“.
Ich bin 14 und „mach mir zu viele Gedanken“.
Ich bin 14 und zu alt für Kuscheltiere, zu alt für Halloween, zu alt für Kinderserien.
Ich bin 14 und zu jung zum Verstehen, zu jung zum Lieben, zu jung für das wahre Leben.
Und trotzdem: Ich bin ich.
Ich bin ich und bleibe im Tempo meines Lebens.
Ich bin ich und bleibe im Tempo, das für mich passt, und nicht in dem Tempo, welches für mein Alter „vorgegeben“ ist.
Ich bin ich, 14 und schlafe mit meinem Kuscheltier.
Ich bin ich, 14 und verkleide mich zu Halloween.
Ich bin ich, 14 und schaue gerne meine Lieblings-Kinderserien.
Ich bin ich, 14 und verstehe.
Ich bin ich, 14 und liebe.
Ich bin ich, 14 und stehe schon seit bald 15 Jahren im „wahren Leben“.
Ich bin ich und das gesellschaftliche Tempo kann mir schon lange nichts mehr.
Ich bin ich und manchmal renne ich noch immer
und denke ich muss sein, ein Gewinner
Ich renne, weil Stehenbleiben tut weh,
aber ich seh
Ich muss stehen bleiben
Weil meine Gedanken sonst zu weit wegtreiben
Ich bleibe stehen, wenn meine Beine zittern, mein Herz zu laut schlägt
Und jeder Luftzug nur noch aus Keuchen besteht
Als wollt mir mein Herz sagen, ich muss es lassen
Und mich nicht mehr anpassen
Ich bin ich und merke, dass das Tempo mich kaputt machen kann.
Wenn ich nicht selbst bestimme
Und höre auf die Stimme
Dann wird man sehen, wie ich zerrinne
Und keinen Gipfel mehr erklimme
Ich bin ich und zähle Schritte, Sekunden, Atemzüge.
Ich bin ich und erinnere mich wieder ans Atmen.
Ich bin ich und vielleicht laufe ich langsamer als ihr.
Vielleicht bleibe ich öfter stehen, vielleicht brauche ich öfter Luft, vielleicht brauch ich öfter eine Pause.
Vielleicht erlaube ich es mir öfter zu atmen.
Aber zumindest atme ich, wenn ICH es brauche, zumindest atme ich in meinem Tempo, zumindest atme ich überhaupt.
Und jedes Mal, wenn ich atme,
finde ich mein Tempo wieder.
Und das reicht.
Mein Tempo reicht, und ich bestimme MEIN Tempo.
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