Kühlschrankvon Emma Breitenecker
einatmen, ausatmen
ausatmen, einatmen
Medienmatsch in Zeitschleife
schluckt Gemeinschaft ohne Reife
unverkennbare Fassaden
haben alle einen Schaden
ein, aus
aus, ein
nur noch immer gleicher Scheiß
von dem niemand etwas weiß
Selbstkrise und ruhelose
Faulheit ohne Endprognose
ein,
aus
Getanzt wird nur mit Alkohol
Nikotin und Lebewohl
bis übermorgen bleib daheim
Geh bitte, nicht schon wieder, nein.
- Hermann C.
Tür auf.
Licht, grell, grelles Licht.
Wieder steht Hermann C. vor dem Inhalt seines kleinen roten Kühlschranks, der sich zu einem signifikanten Prozentsatz aus alten Leberkäse- oder Schnitzelsemmeln in Alufolie und natürlich einem Sixpack mit fünf Dosen Schwechater zusammensetzt. Jetzt nur noch vier.
Das Bier ist Hermanns bester Freund, viele sind nicht geblieben, als er sich dazu entschieden hatte, dem Kapitalismus und der Frustration eins auszuwischen, indem er nur noch Angebotsware kaufte und sich in seine Einzimmerwohnung ohne Einrichtungsgegenstände zurückzog.
Ohne Einrichtungsgegenstände stimmt nicht ganz, es gibt eine Fernsehkiste, die fast breiter ist als Hermann C. selbst, aber nur fast. Und natürlich den Kühlschrank, den er neben das alte auseinanderfallende Bett gestellt hat, damit ihm sein bester Freund, das Bier, immer nah ist. Einen kleinen klapprigen Holztisch mit kleinem klapprigen Plastikstuhl daneben gibt es auch, der hätte Eva nicht gefallen.
So lebt Hermann C. vor sich hin, kauft Penny Pizza 2+1 und Bier um 39 Cent die Dose, geht manchmal spazieren und noch öfter schlafen und ist dabei realistisch betrachtet einer der Zufriedensten. Denn es gibt etwas, das Hermann C. von den anderen Einzimmerwohnungsbewohnern mit Liebe zum Bier und chronisch ungewaschener Wäsche unterscheidet.
Hermann C. schreibt.
Nicht nur Einkaufszettel oder Lottoscheine, nein. Hermann C. schreibt Gedichte, Gewichte der Geschichte, schlichte und blickdichte, verinnerlichte Dickichte mit Oberlichte.
Wenn er Lust hat auch nur einzelne Worte.
Das kann er nur, weil er weiß, dass es keiner weiß. Wenn er abends die fleckigen Vorhänge vor den dreckigen Fenstern zuzieht und nur ein wenig Licht höflich aus dem Lichthof in sein Wohnzimmer der Zimmerwohnung fällt, dann setzt sich Hermann C. vor die schöne alte Schreibmaschine von Eva. Also die ehemalig schöne von der ehemaligen Eva.
Als sie noch ihre war, mochte er sie nie und hatte sie das ein oder andere Mal schon vom Tisch gefegt, wenn er wieder wütend auf Eva und ihre Eigensinnigkeit war. Oder vom Tisch geschoben, sie ist ja doch schwer und Bier macht nicht besonders stark.
Das I ist kaputt, deswegen schreibt Hermann stattdessen immer ein kleines L. So hat das Eva auch gemacht und als sie dann weg war, hatte sich Hermann, mehr zufällig als bewusst, zum ersten Mal vor die alte Maschine gesetzt und drei Wörter hineingehackt:
tTut m r Le d.
Geh bitte.
Wütend hatte er das Blatt herausgerissen und sich noch einmal wie eine geballte Faust davorgesetzt. Die Schweißperlen auf seinem Gesicht platschten mit einer Träne als salzig-gelbes Rinnsal auf seine Wurstfinger und er tippte:
Eva, es tut mlr Leld.
Und dann weiter. Hermann C. schrieb weiter und hörte tagelange Nächte nicht damit auf.
Wurstfinger auf Tasten lassen filigrane Zeichen einrasten, Wörter papierforieren das Blatt ohne Baum und wurzeln in alle Ecken der Seele.
Wort an Wort, an Kopf, an Wort, an tränende Wut, an Lächeln, an Wort. Sätze, Seiten, seitenlange Sätze, sätzelange Seiten.
An Eva.
Und weil es ihm zu viel um sie ging und seine Gedanken ihm nun gar keine Aufmerksamkeit mehr schenkten, zog er weg. Weg von Evas türkisem Teekessel, weg von Evas Geruch und weg von Evas Sterbebett.
Nur Evas Schreibmaschine nahm er mit, und den Kühlschrank.
Dann ging es nicht mehr um sie, dann war er allein. Friedlich. Ohne Krankenhauswartesessel oder schlaflosen Nächten in einem halbleerem Doppelbett; ohne Vergangenheit. Hermann C. begnügte sich außen mit dem Würstelstand und Dauerwerbesendungen, innen mit seiner kleinen unauffälligen Parallelrealität. Das Einzige, was in beiden Universen existierte, waren er selbst und die Schreibmaschine. Und der Kühlschrank.
Hermann C. ‘s Lieblingstaste auf seiner Schreibmaschine war das Semikolon;
nicht nur weil es seine Schreibmaschine besonders machte;
sondern auch weil das Semikolon ihn besonders machte;
steht ein Semikolon, hätte der Autor aufhören können;
tat es aber nicht.
So wie Hermann C.
Ja, er hätte aufhören können. Aber Hermann ist ein Herr-Mann.
Hermann C. fühlt sich nicht schlecht, Hermann C. fühlt sich stark. Nur der Kollateralschaden, der nervt Hermann, er krabbelt und kratzt wie eine kleine Ameise ganz hinten in seinem Holzkopf. Er würde sie gerne mit seinen Wurstfingern ersticken, so wie alles andere auch.
Das kann er aber nicht.
Das kann er nicht.
Raum machen für Einsamkeit zu zweit, Hass in der Liebe, Isolation in der Masse, Angst im Frieden und Krankheit unter Krankenpflegern – Eva krank machen.
Kehlen zusammenschnüren, die Brust eng machen, Lungen zerdrücken, Luft nehmen, ersticken – Eva ersticken.
Das alles kann Hermann C.
Hermann C. bringt der Welt ein Stück Ruhe und einen Hauch von Gerechtigkeit.
Hermann C. macht alles zunichte.
H. Corona schreibt Geschichte.
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