Kindergedankenvon Zoe Wagner
Ein kleines Mädchen in einer großen Welt. Sie liebt es, diese Welt einzuatmen, sich vorzustellen, wie die Planeten in Dauerschleife um das Rund einer Kugel ohne Anfang und Ende kreisen, in ihren Bahnen tanzen. Schon immer, für immer? Sie will sich die Augen zuhalten und warten, um in der Dunkelheit zu sehen. Ihren Kopf ausknipsen, wie ihre Nachttischlampe zur blauen Stunde und mit den Augen der Kinderseele sehen. Und obwohl sie nie das Ende der Straße sieht, weiß sie es ist da, und das ist genug. An stillen Nachmittagen probiert sie gerne von der farblosen Flüssigkeit, die so weit oben auf dem Regal steht, das sie endlos weit weg scheint, aber nicht zu weit für Kinder wie sie. Tunkt den Finger hinein, in die verbotene Farblosigkeit, spürt die Bitterkeit am Gaumen. Und sie kreist mit dem Stummel einer längst gerauchten Zigarette durch das Aschgrau, das alles ist, was an sie erinnert. Ob es irgendwann verschwindet, von selbst? Ihren Drachen lässt sie im Herbst immer höher steigen, kann nicht glauben, dass die Schnur irgendwann zu Ende ist. Lässt ihn steigen, bis er nur noch ein roter Punkt auf blauer Leinwand ist. Lässt dann einfach los, um ihm keine Grenzen mehr zu setzen. Wenn es regnet, sitzt sie am Fenster und wartet auf das Ende des Regens, hat das Gefühl nach jedem Tropfen müsse der Nächste folgen, bis in alle Ewigkeit und noch weiter, bis die Straße ein Fluss ist und die Stadt ein Meer aus Gebäuden und Seelen. Doch manche Dinge haben ein Ende, lernt sie, wie der Regen, auch wenn sie nicht weiß, wer den Stoppknopf drückt. Und wer knipst den Mond an, wenn die Sonne schlafen geht? Der Mond ist nicht immer derselbe, er ist mal eine anmutige Sichel, mal ein rundes Ebenbild der Sonne. Vollmond mag sie am liebsten, kneift ein Auge zu bei dem Versuch ihn auszumessen. Rund ist er, aber ein anderes Rund als die Erde, oder? Kreisförmig. Wo fängt ein Kreis an und wo hört er auf? Und wen sie den Mond umkreisen würde, auf seinem Rand entlang balancieren, würde sie jemals an ein Ende kommen? Wenn der Kopf müde ist vom endlosen Fragen und Antworten suchen, verläuft sie sich in ihren Träumen, fällt. Fällt ins Nichts. Unter ihrer Bettdecke sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Manchmal hält sie das Ticken der Uhr wach. Wenn sie die Uhr zertrümmern würde, bliebe die Zeit dann stehen? Vor dem Spiegel stehend betrachtet sie sich, wird sie immer gleich aussehen? Oder ihre Form wandeln wie der Mond, eines Tages dem bröckeligen Grau im Aschenbecher gleichen? Wieso schwören die Großen sich ewige Treue, wenn dieses Band doch so leicht zu zertrennen ist? Leere Worte statt endloser Liebe. Abends sitzt Vater am Tisch, Glas vor sich. Es scheint nie leer zu werden, das Glas.
Und manchmal fragt sie sich, ob endlos Blut in ihren Adern flöße, oder ob sie dem roten Strom, ganz still und leise, einfach ein Ende setzten könnte.
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