Kulturklebestreifen auf Litfaßsäulenvon Helena Haselsteiner
Eine Generalisierung gelehrter Grundsätze und Kulturklebestreifen auf Litfaßsäulen.
Radfahrer rasen daran vorbei. Das warme Wetter schon im Gestern und ich denke: Mit kurzen Hosen am Sommer festhalten, weil er und sie zu kurz sind. Mit nackten Füßen in die Pedale treten, weil das das Gefühl von Freiheit ist. Die Speichen sich in den Schaufenstern drehen sehen und Eis auf der Hose, weil sie wohl doch nicht kurz genug war.
Die Plakatecken an den Litfaßsäulen eingeknickt und Kulturklebestreifen dienen zur Erinnerung an letzte Woche, weil eine Generalisierung gelehrter Grundsätze sagt, dass da noch Sommer war, dass da noch Theater gespielt wurde.
Auf der Parkbank sitze ich und denke mir die Welt verkehrt. Weil ich den Handstand nur in Gedanken schaffe. Das graue Gras zum grauen Himmel und ich gehe auf dem Meer. Pflücke Sterne getunkt in Fallobstfarben, denn sie haben Ahornformen. Das Licht durch ihre Risse leuchtend, klebe ich mir auf die Stirn. Ahornformen sind Lichtrissmacher sind Stirnabzeichen. Wie Almut sagen würde.
Muttermale wären Sommersprossen, hätten sie nur ein Gesicht. Das Gesicht ein Accessoire und sie würden es sich ausborgen für schöne Sommersprossentage und der Sommer würde länger halten wie wir die Sprossen in unseren Händen, wenn wir näher an den Himmel wollten.
Doch mit Almut geht der Mut-ut-t und zurück bleibt nichts.
Mit dem Blick in den Ahornsternen denke ich an ein Leben am Meer. Brechend hohe Wellenflanken und der Himmel fiele uns auf den Kopf, während wir uns in milden Nächten fragten, wie wir schon so alt werden konnten. Die Welt wäre eine verkehrte und ich denke: Im Mond am Himmel liegt die Sonne in Mexiko. Ein Aufbruch hätte wohl gereicht.
Im Herbst hocke Unmut zwischen den Halmen, Unentschlossenheit, hat Almut gesagt. Während der Tee am Küchentisch verräterisch war, weil er wärmen sollte, was nicht gewärmt werden wollte. Und der Finger, niemals ringlos, deutete auf Kulturklebestreifen an Litfaßsäulen, während der Mund, niemals farblos, dorthin zu wollen meinte und die Hand, immer in meiner, etwas fester drückte. Indem eine Generalisierung gelehrter Grundsätze sagte, dass Samstag von nun Theaterabend war- der Aufbruch jede Woche, er lag uns in den Gliedern.
Doch mit Almut geht der Übermut-ut-t und zurück bleibt nichts.
In schwarz, grau und manchmal auch bordeauxrot lag ihr die Eleganz am Körper, jeden Samstagabend und sie setzte Edelsteine an Ohren und Hals und den Diamantring an den Finger. In ihrem Spiegelbild rannen dann manchmal Tränen über die Wangen, während ich ihr durch die grau gewordenen Haare strich oder vielleicht auch, weil ich es tat. Und im Spiegel wäre das Leben einfacher, weil da nichts mehr verkehrt zu denken war.
Eine Frau mit dickem Bauch und den Beinen in der Hand. Verkehrte Frauenbäuche und ich denke: Almut hätte das gefallen. Sie hätte schwarz, grau und manchmal auch bordeauxrot getragen und sich gefreut, beim Runterschauen ihre Füße nicht zu sehen. Sie hätte gemeint, sie fliege und wir hätten uns groß gefühlt.
Doch mit Almut geht die Anmut-ut-t und zurück bleibt nichts.
Mit dem Sommerende kommt der Regen, kommt das Laub, geht der Mut und ich sehe nur rissige Fallobstfarben. Kulturklebestreifen auf Litfaßsäulen von letzter Woche drängen mich zu erinnern und ich glaube, ich würde mir die Welt nur noch verkehrt denken und in ihrem Spiegel nach Verständnis suchen.
Grüner Anzug, Gewohnheitshandgriff, Balanceschwierigkeiten, ein neues Theaterplakat an der Litfaßsäule und ich denke, ich würde mir das alte in die Wohnung hängen, Wohnraumfüller gegen die Leere, Zeitanhalter, wenn der Sommer noch ein wenig länger bleiben soll.
Doch mit Almut ging der Sommer und zurück bleibt nichts.
Auf der Parkbank sitze ich und denke mir die Welt verkehrt. Weil ich den Handstand nur in Gedanken schaffe. Ihr Trauermund zum Lachgesicht und ich weiß: Wenigstens das bleibt.
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