Liebe Naomivon Naomi Muzicant
Liebe Naomi,
ich kann es gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich mich freue, zum ersten Mal seit meiner Existenz einen Brief erhalten zu haben. Ich bin immer so neidisch auf die Liebe, die fast täglich Post bekommt, und auf den Tod, der auch hin und wieder Nachrichten kriegt. Naja, aber um ehrlich zu sein, vielleicht doch eher auf die Liebe, der Tod erhält sicher keine sehr fröhliche Post.
Keine Sorge, das Selfie habe ich nicht vergessen, jedoch tut es mir sehr leid, dir berichten zu müssen, dass ich dir kein Foto von mir schicken darf. Der liebe Gott wäre kein großer Fan davon.
Das mit dem „Auftauchen, wenn mich niemand haben will“ tut mir echt leid. Ich versuche eigentlich immer genau dann zu erscheinen, wenn meine Zeit gekommen ist, jedoch schaffe ich das nicht ganz so, wie es mir vorschwebt. Könntest du mir vielleicht dabei helfen? Ich bin mir sicher, wenn mir ein echter Mensch den Rücken stärkt, dass ich mich dann besser in eure Lage hineinversetzen kann.
Zu deiner Frage bezüglich des Zweiten Weltkriegs: Ich weiß, gar nicht, wie ich das ausdrücken soll, aber leider habe ich wirklich verschlafen. Als ich am 2. September 1945 endlich aufgewacht bin, hatte ich so ein schlechtes Gewissen, das kann man sich gar nicht vorstellen. Es tut mir so unendlich leid, dass ich ausgerechnet dar meine Finger nicht im Spiel hatte.
Dass du dir schwertust, dich von Sachen oder Tätigkeiten zu trennen, ist natürlich eine schwere Sache, die bestimmt nicht nur dich betrifft. Ich verspreche dir, in Zukunft ein etwas deutlicheres Zeichen zu setzen, wann ich auftauchen werde. Meinst du wirklich, die Menschen würden mich mehr mögen, wenn ich etwas mehr Vorwarnungen ausschicken würde? Wenn das wirklich so ist, werde ich mir etwas einfallen lassen, um das auch zu tun. Darauf kannst du zählen!
Ja, leider haben die Liebe und ich eine Art „HassBeziehung“, daher mische ich mich öfters bei ihr ein. Ich kann es auch gar nicht gescheit in Worte fassen, aber diese Typin hat manchmal echt einen Knall! Naja, eigentlich stimmt das, was du sagst, in der Liebe sollte es nichts geben, was sie beendet, außer den Tod. Also, wie du dir vielleicht vorstellen kannst, ist es in unserer Welt eine Art „Zwei-gegen-Eine-Geschichte“. Aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich, macht es der Liebe nicht viel aus, die hat ja ihre großartigen Liebesbriefe, mit denen sie sich beschäftigen kann. Und da hattest du sogar recht, der Tod ist einer meiner besten Freunde, ich übernachte mindestens zwei Mal die Woche bei ihm, aber ich verrate dir ein Geheimnis: Lieber wäre es mir, wenn der Tod bei mir schlafen würde, bei ihm ist nämlich alles so dunkel und düster.
Es ist so schön zu hören, dass auch du dir eine unendliche Liebe wünschst. Keine Sorge, meine Pfoten und die vom Tod bleiben da weg, das kann ich dir versichern!
Nochmals, vielen vielen Dank für deinen Brief, hoffentlich konnte ich dir mit meinen Antworten das geben, wonach du gesucht hast!
Und ja, man sieht sich ganz sicher, wann auch immer…
Dein Ende
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