M ist gleich Mvon Sara Čošabić
07: 42
Marina ist im Badezimmer, putzt sich die Zähne. Ich bin schon wieder zu spät dran, hört sie Markus durch die geschlossene Tür sagen. Marina spuckt die Zahnpasta aus, ich habe keine Zeit zum Essen, kannst du mir das einpacken, ruft er. Sie kommt heraus, in der einen Hand das Haarspray, in der anderen die Haarbürste, sieht den Teller mit der Tomaten-Semmel, die sie für ihn belegt hat. Daneben ihr Teller mit Krümeln und Tomatensaft. Markus ist im Flur, zieht den Mantel an, wo ist meine Mütze, fragt er. Vielleicht im Schrank, sagt Marina, legt das Haarspray und die Haarbürste neben die Teller, nimmt Alufolie und wickelt die Semmel ein. Du kannst doch nicht so in die Arbeit, sagt Markus und sieht auf ihre zerknitterte Bluse, Marina reicht ihm die Semmel, ich wollte eh einen Pulli drüberziehen. Markus sucht nach der Mütze im Garderobenschrank, kannst du das in die Aktentasche legen, zwei Schals, eine Jacke, drei Handschuhe fallen heraus. Marina atmet laut aus, öffnet den Reißverschluss der Aktentasche und legt die eingepackte Tomaten-Semmel zwischen den Laptop und die Papiere. Vielleicht wird der Tomatensaft durchsickern, denkt Marina, presst die Lippen aufeinander, zieht den Reißverschluss zu. Markus schaut auf die Uhr, greift nach der Aktentasche, geht ohne Mütze hinaus. Zwei Schals, eine Jacke, drei Handschuhe bleiben auf dem Boden liegen. Marina hebt sie auf.
08: 03
Marina stapft durch den Schneematsch, geht über die Straße, die Zebrastreifen sind glitschig, sie eilt die Treppen hinunter, steigt in die U-Bahn ein. Sie ekelt sich vor der Haltestange, nur im Winter nicht, da trägt sie Handschuhe. Menschen steigen ein, wenige aus, sie riecht ihren Atem, Deo-Spray und Kaugummi, es ist heiß, sie will die Jacke ausziehen, kein Platz. Sie denkt an den freien Sitz im Auto neben Markus und an seinen Mantel, der darauf liegt, Menschen stehen Schulter an Schulter nebeneinander. An der nächsten Haltestelle steigt sie aus, eilt die Treppen hinauf, Schneematsch, Zebrastreifen, Autos hupen. Marina kommt zum Gebäude, die Schiebetüren öffnen sich automatisch, sie reibt die Stiefelsohlen über den Teppich, nimmt den Aufzug, Männer in Anzügen steigen ein, sie als Letzte aus. Ihr Handy vibriert, morgen Süße, schreibt Anna, bist du schon im Büro, Marina drückt die Türklinke hinunter. Sie legt den Rucksack auf den Boden, hängt die Jacke an die Tür, zieht die Handschuhe aus, gerade angekommen, schreibt sie zurück. Magst du heute Abend was trinken gehen, schreibt Anna, weiß nicht, muss noch schauen, ob es sich ausgeht. Mit was denn ausgeht, jetzt hast du noch keine Kinder. Ich melde mich am Abend, tippt Marina, setzt sich an den Schreibtisch, kann nicht aufhören, an das „noch“ in Annas Nachricht zu denken.
12: 51
Marina hat genug in den Bildschirm geschaut, ihre Augen schmerzen, das Magenknurren erinnert sie, dass sie vergessen hatte, sich etwas zum Essen einzupacken. Widerwillig wieder Schneematsch. Sie geht in den Supermarkt und findet Instant-Nudeln, stellt sich an der Kasse an. Vor ihr ein älteres Paar mit vollem Einkaufswagen, sie traut sich nicht zu fragen, ob sie vorgehen darf, hält die Instant-Nudel-Packung gegen die Jacke gepresst, das Paar sortiert Lebensmittel auf den Kassenband, Bio-Mandarinen, Dinkelmehl, Bio-Vollmilch, Vollkornpasta, Zuckerstreusel, Kuchenschokolade, eine Kerze in der Form sieben. Als sie alles platziert haben, legt Marina den Warentrenner und die Instant-Nudeln hin. Sie beobachtet, wie die Geburtstagskerze auf der Kuchenschokolade liegt und nach vorne zu der Kassiererin gleitet. Marina denkt an Annas Tochter, sie wird nächstes Jahr sieben. Marina denkt an das „noch“ in Annas Nachricht. Sie denkt an die Selbstverständlichkeit des „noch“ in Annas Nachricht, sieht die Geburtstagskerze auf der Kuchenschokolade, ihr wird übel. Als sie endlich zahlt, regnet es draußen, sie streift sich die Kapuze über den Kopf, geht zurück die Straße entlang, ein Auto fährt in eine Pfütze und bespritzt ihre Hose. Marina solle öfter lächeln, hört sie Markus sagen, sie schaut hinunter auf die nassen Hosenbeine, lächelt sarkastisch.
17: 15
Marina hält sich mit dem Handschuh an der Haltestange, Menschen stehen Schulter an Schulter nebeneinander, sie riecht ihren Atem, Schweiß und was sie gegessen haben. Sie denkt an den freien Sitz im Auto neben Markus, fragt sich, ob er schon zurück von der Arbeit ist. Mit den Öffis zu fahren ist besser für die Umwelt, redet sie sich ein, ihr ist heiß, der Handschuh rutscht an der Haltestange. Sie steigt aus, Menschenmenge, geht die Treppen hinauf, draußen ist bereits Nacht. Sie holt ihre Schlüssel und das Handy aus dem Rucksack, im Winter wird es so früh dunkel, sie klimpert mit den Schlüsseln und lässt den Handybildschirm an. Marina geht über die Straße, passt auf, dass sie nicht ausrutscht auf den Zebrastreifen, Schneematsch, ihre Stiefel quietschen, noch zwei Straßen, denkt Marina und muss einen Handschuh ausziehen, um auf ihrem Handy tippen zu können, damit sich der Bildschirm nicht ausschaltet. Sie biegt um die Ecke, sieht das geparkte Auto, fragt sich, ob Markus gekocht hat, geht auf die Haustür zu, steckt den Schlüssel ins Schlüsselloch, dreht ihn um, nein, er kocht nie, geht hinein, stellt sicher, dass die Tür hinter ihr zu ist. Marina hört sich ausatmen. Sie geht hinauf, Treppensteigen, in der Wohnung läuft der Fernseher, Markus hat die Beine auf den Sofatisch übereinandergelegt.
18: 01
Marina ist im Badezimmer, schminkt sich ab. Was gibt’s denn zum Essen, hört sie Markus durch die geschlossene Tür sagen. Marina bleibt vor dem Spiegel stehen, sieht sich an. Sie dreht das Wasser auf, hält die Hände darunter, wäscht sich das Gesicht. Mit einem frischen Handtuch fährt sie langsam darüber, massiert sich in kreisenden Bewegungen die Schläfen. Sie geht aus dem Badezimmer, schaltet das Licht aus, was gibt’s denn zum Essen, fragt Markus noch einmal. Was soll es denn geben, wir müssen erst was kochen, ich war doch auch arbeiten, sagt Marina. Du warst vor mir da. He jetzt reg dich doch nicht auf, ich habe nur Hunger, sagt er und schaut auf den Fernseher. Marina hat auch Hunger, geht in die Küche, nimmt die Pfanne und stellt sie auf die Herdplatte, greift nach der Ölflasche, ihr Handy vibriert. Komm lass uns feiern gehen, schreibt Anna, Marina stellt die Ölflasche hin und tippt, ich muss was kochen und morgen wieder früh aufstehen. Marina hält das Handy in der Hand, schaut durch die Küchentür und sieht Markus, wie er immer noch Fernsehen schaut. Sie löscht die Nachricht. Klar warum nicht, schreibt sie, schickt es ab, streift sich die Jacke über. He Markus, koch dir was selbst, die Pfanne ist schon da, ich geh raus. Wo gehst du jetzt hin, hört sie Markus durch die geschlossene Eingangstür sagen.
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