Sonne über dein Hauptvon Theresa Schmerold
Da steht er, zwischen den anderen, eine grün-weiße Raupe mit Zyklopenauge, schief am Stammplatz, du hast es eilig gehabt. Dein Bus ist mutterseelenallein, schwach beleuchtet. Ich habe ihn an den Post-its erkannt, sie kleben an der Windschutzscheibe und am Armaturenbrett. Ich gehe langsam auf ihn zu, hole die Stange aus dem schwarzen Rucksack, leger auf einer Schulter, lege das Eisen ans Gummi der Tür, es gibt leicht nach, ganz einfach, ich stemme die Tür auf, wie du es mir gezeigt hast und steige ein, dein Platz ist frei, aber ich sehe dich noch sitzen, verschmolzen mit dem bedruckten Stoffsitz. Direkt über dem Fahrersitz ist eine Sonne gezeichnet, dein eigener Stern. Ich stecke die Stange wieder ein und suche im Innenraum des Rucksacks, Plastik knistert und ich klemme die Chrysanthemen ins Lenkrad, ich habe gegoogelt, was dir gefallen würde. Alles hat eine Bedeutung, ich schreibe mir das auf, damit ich’s nicht vergesse. Wenn du die Dinge unterschätzt, hast du schon verloren. Vergiss Die Geschichte nicht. Behalt sie dir im Hinterkopf. Chrysanthemen bedeuten: Ausdruck eines Gefühlsumschwungs, Abschied, Treue, die bedeuten alles Mögliche, die Liste ist lang, das würde dir gefallen. Neben dem Kleingeldspender liegt ein Stapel unbenutzter Post-Its. Ich nehme mir eines und schreibe: Blumen für den Busfahrer. Ich klebe ihn aufs Lenkrad neben den Strauß und schlängle mich nach hinten, vorletzte Reihe rechts am Fenster, setze mich. Lege meinen Ellbogen auf den Fensterrahmen, stelle mein Kinn ab auf meiner Faust, Denkerpose. Ich kann die Sonne von hier aus sehen.
Ich habe erst nach zwei Wochen meines neuen Schulwegs erkannt, dass immer du da vorne sitzt und fährst, immer im selben Bus, wie hast du das geschafft, habe ich dich gefragt, wenn du lange genug dabei bist, bist du frei irgendwann. Die Leute bemerken dich nicht mehr, so bist du mit dem Bus verwachsen und er mit dir, hast beobachtet und mitgeschrieben. Notierst die Geschichte, sie klebt gelb um dich rum. Du hast mir ab der vierten Woche eine Bedeutung zugewiesen, ich bin der, der sein Geld nie dabei hat, Schwarzfahrer, der trotzdem bezahlt, mit Kastanien, mit Nimm2, mit Spickzetteln oder einem Wort, ich habe dir nie eine Münze gegeben, du hast gesagt, ich nicht, ich muss mehr zahlen, den höheren Preis, du hast dir das ausgedacht in der vierten Woche, beim achten Mal Geld vergessen.
Unsere Freundschaft, Bekanntschaft, die lief so: Ich steige ein, ich bezahle (ich mache eine Pirouette, gebe dir ein Herbstblatt, sage meine Lieblingseissorten alphabetisch auf, du bestimmst den Preis), du schüttelst mir ernst die Hand, grüßt, ich gehe die Reihen entlang, der Rucksack schief auf den Schultern. Immer derselbe Platz, du links vorne, ich rechts hinten, in Fahrtrichtung. Auf dem Sitz vor mir steht: Lebn ist hart ohne S-Budget Juneberry, und, ich war das nicht, habe ich dir gesagt, als wir Plätze getauscht haben. Das war im Frühling, es wurde wieder hell am Abend, ich habe auf dich gewartet, der letzte Bus, Endstation, ich habe uns aus dem Münzfach Pommes spendiert. Da saßen wir, ich vorne links, du hinten rechts, du hast gelacht und Pommes in deinen runden Bauch geschoben und gesagt, ich soll anstarten. Ich wünschte ich wärs gewesen, hätte einen Edding dabeigehabt, ich wünschte, ich könnte Busfahren, hab ich gemeint und bin fast umgekippt beim Versuch, zu drivten. Juneberry hat Poesie, meintest du, also, das Wort, und schreibst mit. Kein Energy für dich, du trinkst jeden Morgen Chai aus der Thermoskanne.
Du zeigst mir, wie du deinen Schnurrbart drehst. Dass du die Pomade im Seitenfach hast, für den Notfall, ich beneide dich um den Bart und bezahle mit einem zum Aufkleben, du schreibst, einzelne Wörter, ein, zwei Gedichte, Beobachtungen, Beschreibungen, während der roten Ampeln holst du den Kuli raus für Die Geschichte. Alles hat eine Bedeutung, ich finde, das ist Kitsch und bezahle aus Protest mit einer kleinen rosa Porzellankatze, die ich habe mitgehen lassen bei meinem Klavierlehrer, wir denken uns ihre Geschichte aus, drei neue Post-Its übereinander. Die Katze erhängt am Rückspiegel, du trauerst über ihren Tod.
Du brichst ein in deinen eigenen Bus, den Schüssel in der Hosentasche, Brechstange in der Hand, für den Kick, woher hast du eine Brechstange, mit deiner Halbglatze und dem Bierbauch, obwohl du kein Bier trinkst, nur Tee. Irgendwann baust du den selbst an, dann sitzt du auf einem weißen Plastikstuhl in der Sonne und lässt dir die Brusthaare weiß werden, füllst deinen Bauch mit Datteln und Weißbrot, bis du wie eine Boje im Meer treibst, eine braun gebrannte Titanic. Das schreibst du und du sagst es, und ich stelle mir dich, dich Busfahrer mit zusammengesessenem Hintern, in Badehose vor und mit Zigarre am Strand. Ich bezahle mit einem Teebeutel und einer Feige und meine, bleib noch ein bisschen da, schau dir den Winter an wo es ihn noch gibt, so schnell kommst du nicht weg.
Du bist einmal mit dem Fahrrad gekommen, ein Damenrad das ächzt unter der Last deiner Ideen, bist auf mich zugefahren, ich im Schneidersitz vor dem Bus, Hände in den Taschen, Pommes auf dem Boden mit zu viel Ketchup drauf, da bist du hingefallen. Hast dir die Hände aufgeschürft und dich abgerollt wie ein Ninja, ich habe gelacht und gefragt, woher das alles, alter Mann, woher nimmst du das. Du hast erzählt, heute ist gut gewesen, ein guter Tag und auf deinem Fensterbrett steht jetzt eine Teepflanze, mal schauen ob das funktioniert. Du bringst mir das Busfahren bei, mein Körper sticht weg aus dem Sitz, fühlt sich fremd an, ich bin zu lang und zu schmal und mache Musik an, Golden Brown in deiner Thermoskanne, Sonne über mein Haupt.
Du hast geschrieben, du hast gesagt, du träumtest dir du gehst weg, dahin wo die Sonne brennt, nicht klebt. Dein Fensterbrett ist finster und vertrocknet und dein Damenrad ist weg, ich hebe mein Kinn und stelle mir dich auf der Autobahn vor, fünf Km/h mit dem Rad und quietschende Reifen, eine Badetasche im Korb. Dein Bus ist nur noch ein Bus, deshalb stehe ich auf und gehe vor zum Lenkrad, wo die Blumen bald verwelken, sie schreien Nimmerwiedersehen. Ich nehme die Zettel ab, einen nach dem anderen, lasse die Sonne als Einzige kleben und nehme Die Geschichte mit.
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